Ausstellung in der BAT Campusgalerie

„Darüber und Darunter“

„Der Blick hangelt sich irgendwie am Horizont entlang und zeigt das Darüber und Darunter.“ Mit nüchtern-präzisen Worten sagt Susanne Maurer alles Notwendige über ihr Schaffen und gibt dem Betrachter zugleich eine klare Handlungsanleitung, wie ihre Bilder zu betrachten sind. Dabei handelt es sich nicht um expressiv-abstrakte Farbfeldmalerei, sondern wir assoziieren jene in ihren Bildern stets auftauchende Horizontlinie traditionell mit der Darstellung von Landschaft. In einigen Arbeiten setzt der Horizont ganz tief im Bild an und öffnet den Blick auf zumeist dramatisch inszenierte Wolkengebirge am Firmament. In anderen Bildern verhält es sich umgekehrt. Die Horizontlinie verläuft etwa eine Handbreit tiefer als der obere Bildrand und präsentiert darunter eine Landschaft aus der Vogelperspektive oder gischtende Wellen eines Ozeans, die sich gegen eben diesen Horizont zu immer mehr auflösen. Fensteraussicht, Horizontlinie, Vogelschau oder Luftperspektive: Susanne Maurer nutzt diese und andere in der Kunsttheorie seit Vitruv und Alberti bekannten Werkzeuge, die es erlauben, in ihren Arbeiten Landschaften zu sehen.

Wirklich? Tatsächlich? Bereits die von mir gewählten, an Wirklichkeit und Tatsachen gebundenen Frageworte irritieren und stoßen das Pendel unserer Antwort einseitig nur in eine Richtung. Fasst man nämlich frühe Arbeiten von Susanne Maurer ins Auge, dann stößt man doch auf Gemälde mit Farbfeld- oder Flächenmalerei in der Art von Barnet Newman oder Mark Rothko. Erst in einer weiteren Stufe ihrer Malerei hat sie sich erneut der Vorstellung von Landschaft angenähert. Bestätigt werde ich unter anderem dadurch, dass Susanne Maurer in einem frühen Katalog einem abstrakt-expressiven Bild von 2001 ein Gedicht von Hölderlin mit dem Titel „Aussicht“ beigesellt hat.

Keine ihrer Landschaften folgt einer irgendwie bestimmbaren Region. Aber die angesprochenen Bildstrukturen rufen im Betrachter die Vorstellung von Landschaft wach. Aber, so raunt das kleine Teufelchen auf meiner Schulter ins Ohr: „Wenn das keine „richtigen“ Landschaftsbilder sein sollen, dann ist das ja eigentlich nur Ölfarbe auf Papier oder Leinwand?“ „Ja, zunächst schon“, erwidere ich, „aber das, was wir als Landschaft oder Wolken in der Natur sehen, setzt sich aus Erde, Steinen, Bäumen oder nur als Anhäufung von Wassertröpfchen zusammen. Erst unsere Wahrnehmung findet dafür abstrakte Begriffe wie „Landschaft“ oder „Wolken“. Kürzen wir ab und halten einfach fest, dass Susanne Maurer keine „Landschaften“ oder „Wolken“ malt oder gar abbildet. Sie schafft, um nicht zu sagen erschafft, „Malerei“ in ihren Bildern, also etwas völlig eigenständiges und originäres. Es liegt an uns Betrachter, vor unserem geistigen Auge Assoziationen mit Landschaften oder Wolken aufsteigen zu lassen.

Keines ihrer Bilder strebt die Wiedergabe einer ganz bestimmten Landschaft oder Himmelserscheinung an. Die Künstlerin spricht von „Stimmungsorten“ oder „Stimmungslandschaften“. Selbstverständlich gibt es gelegentlich die eine oder andere Zeichnung, gibt es Fotos, die als Anregung einer Bildidee gedient haben. Genauso aber kann es vorkommen, dass die Künstlerin direkt auf der Leinwand mit dem Malen beginnt und sich von dem, was ihr in den Pinsel fließt, tragen lässt. Gleich bleibt dabei die asketisch-strenge Technik des Farbauftrages: Auf eine lasierende Grundierung folgt Schicht um Schicht bis zur letzten Höhung, mit der das Gemälde vollendet ist. Man kann sich das als Umkehrung der Arbeit an einem Hinterglasbild vorstellen, bei dem mit der Höhung begonnen wird und am Schluss die Grundierung steht. In jedem Fall setzt das Vorgehen von Susanne Maurer ein klar strukturiertes Vorgehen beim „Aufbauen“ ihrer Werke voraus.

Auffällig ist, dass in keinem Bild irgendwelche sich durch die Wellenberge kämpfenden Schiffe oder Menschen vor dramatischen Wolken zu sehen sind. Wir kennen solche Staffagen zum Beispiel aus der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts oder auch aus der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts. Wir wissen, dass die Künstlerin Maler wie den Romantiker Caspar David Friedrich und dessen Landschaften sehr schätzt. Für die Kunst der Romantik bedeutete die Auseinandersetzung mit der Natur zugleich die Entdeckung dieser Natur. Indem der Mensch sich Kenntnisse über diese Natur verschaffte oder deren Bild in Gemälden und Zeichnungen festhielt, verschaffte er sich zugleich Erkenntnisse, die dazu beitrugen, diese Erde in den Dienst des Menschen zu stellen.

Erzeugte bei den Künstlern des 19. Jahrhunderts noch das Matterhorn den Eindruck von Erhabenheit und Größe, so mussten es im Laufe des 20. Jahrhunderts die höchsten Berge auf dieser Erde oder der Flug zum Mond sein, der in uns noch jenes „romantische“ Staunen vor dem Wunder „Natur“ auszulösen vermochte. Inzwischen haben wir erfahren müssen, dass wir uns „die Erde nicht untertan“ gemacht, sondern sie versklavt, missbraucht und an den Rand der Selbstzerstörung gebracht haben. Deshalb darf der Mensch auf Susanne Maurers Bildern keinen Platz mehr haben. Wir Menschen stehen als Betrachter außerhalb des Bildes und blicken zurück auf das, was war beziehungsweise auf das, was hätte sein können oder sogar sein müssen.

Jetzt erinnern wir uns wieder an das Wort von den „Stimmungslandschaften“ und könnten sogar ein noch viel missbrauchteres Wort wie „Sehnsucht“ richtig verstehen. Oder hat sich Susanne Maurer wie Generationen von Künstlern vor ihr ganz einfach auf die Suche nach Arkadien begeben?

Wir als Betrachter haben es da sehr viel einfacher, denn wir hangeln uns mit unserem Blick einfach irgendwie am Horizont entlang und studieren das Darunter und Darüber.

Erich Schneider

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